Ich frag mich immer, warum eigentlich „Beziehung“

Eine Vorabversion dieses Textes wurde im Schaschlik Nr. 3/2010, dem Magazin der KLjB Rottenburg-Stuttgart, veröffentlicht, weil ich es nicht geschafft hatte, eine finale Version vor Drucklegung einzureichen. Darum an dieser Stelle noch einmal meine Gedanken zum Thema „Beziehung“, in einer Fassung, die mir wesentlich besser gefällt.

Begegnet man alten Freunden oder Bekannten nach längerer Zeit wieder, hört man oft die Frage „Na, hast du gerade jemanden?“. Meine Antwort lautet in den letzten Jahren meist ungefähr so: „Ne Freundin? … Nein, eine Freundin hab ich nicht und ich will auch keine »Beziehung« mehr.“ Nach dieser Aussage ergibt sich oft (und durchaus von mir gewollt) ein interessantes Gespräch, sowie meistens auch eine echte Grundsatzdiskussion.Gut für die Diskussion ist es, wenn klar wird, dass nicht vor kurzem auf übelste Weise mit mir Schluss gemacht wurde, ich nicht gerade aus einer ganz schrecklichen Beziehung entkommen bin oder eh jedes mal schlechte Erfahrungen in „Beziehungen“ gemacht habe — bei mir ist viel mehr das Gegenteil der Fall.
Weil bei diesen Gesprächen das Feld meist von sehr, sehr weit vorne aufgerollt werden muss, findet sich hier nun eine grobe Zusammenfassung meiner Ansatzpunkte und Überlegungen. In diesen Gesprächen wird immer viel definiert, abgeglichen, bis auf weiteres vorausgesetzt oder auch als (für’s Erste) nicht weiter klärbar akzeptiert und meist ist es schwer, dann irgendwann auf einen – evtl. sogar gemeinsamen – Punkt zu kommen. Aber ich wähle meine obige Antwort gerade mit der Absicht, eben nicht missverstanden zu werden und außerdem einen eventuell inspirierenden Gedankenaustausch zu starten. Ich finde es mittlerweile auch störend mit „in einer Beziehung“ oder „nicht in einer Beziehung“ kategorisiert zu werden. Somit hoffe ich, dass es hier auf eine verständliche Weise gelungen ist, die wichtigsten Gedankengänge und damit die Grundlage meiner Überlegungen zusammenzufassen.

Für den Anfang erstmal der Versuch einer kurzen Bestimmung der Begrifflichkeit. Grundsätzlich besteht eine „Beziehung“ doch schon ab dem Zeitpunkt, in welchem zwei oder auch mehr Menschen irgendwie miteinander in Kontakt treten. Alltäglich wird das Wort aber nur und etwas unscharf dazu gebraucht, um eine tiefe Verbundenheit zu kennzeichnen. Und am aller häufigsten möchte der Sprecher damit auch ganz explizit nur eine langfristige, partnerschaftliche Liebesbeziehung bezeichnen. Die Begriffsbestimmung bzw. die Verständigung untereinander wird dann auch noch verkompliziert durch mögliche weitere Unterscheidungen des eigentlich gemeinten: vom einfachen „miteinander gehn“, über „die (erste) große Liebe“, hin zu den durch Staat oder Religion institutionalisierten Formen der Partnerschaft, bei welcher z.B. meist auch automatisch Gegengeschlechtlichkeit angenommen wird. Sich präzise genug auszudrücken ist ja generell nicht einfach und leider auch selten selbstverständlich; grobe Verallgemeinerungen sind aber prinzipiell nicht akzeptabel, da sie oft zu viel weitergehenden Missverständnissen führen.
Die reine Begriffsbestimmung bringt aber auch keine direkten Antworten. Warum wird diese eine Art der Beziehung zu genau einem einzigen Menschen meist so in den Mittelpunkt gerückt? Warum suchen die meisten Menschen mehr oder weniger erfolgreich die eine oder den einen, also jemanden mit dem sie die Absicht entwickeln wollen, den Rest ihrer Lebenszeit zu verbringen? Aus welchen Gründen streben oft auch diejenigen, die – wenn es in den Herzensangelegenheiten gerade mal schwierig ist – angeben, dass sie sich eigentlich gar nicht für fähig halten dauerhaft mit einer einzigen Person „zusammen zu sein“, trotzdem und ständig (oder zumindest für längere Lebensabschnitte) danach, sich fest an einen Menschen zu binden?

Es tun sich beim Betrachten des Ist-Zustandes unserer Gesellschaft (zumindest formal-logische) Ungereimtheiten auf, wenn man das Konzept traditionell westlich christliche Zweierbeziehung genauer betrachtet, das das von der Mehrheit das angestrebte Lebensmodell zu sein scheint. Diese Form der Beziehung baut auf Exklusivität auf und soll vor allem Sicherheit in verschiedenen Modi bieten. Man legt sich auf genau einen Partner fest und erwartet im Gegenzug dasselbe von diesem geliebten Menschen.
In der Argumentation wird z.B. angeführt, dass man damit jemanden hat, „bei dem man sich wohlfühlt“, „der einen versteht“, „der einem Kraft gibt“, „auf den man sich verlassen kann“. Diese Beispiele stellen aber keinen Unterschied zu dem dar, was als Eigenschaften einer „echten Freundschaft“ oder im Rahmen der Familie als erstrebenswert gilt und oft hört man dann ja auch, dass eine echte Freundschaft für wichtiger gehalten wird als jede „Beziehung“.
Weiterhin zielt die Konstruktion Zweierbeziehung oft auf überwiegend zukünftige Dinge ab. Es wird gesagt, dass man „dann nicht alleine ist“, z.B. „wenn man abends heimkommt“ oder „später alt ist“. Es liegt aber in der Natur der zukünftigen Dinge, dass man nicht wissen kann was kommt; sie sind stets ungewiss und Sicherheiten gibt es keine.

Aus dieser Ungewissheit über die Zukunft kann jedoch einfach abgeleitet werden, dass es sich, wenn überhaupt, dann nur lohnt, im Hier-und-Jetzt zu leben, zu fühlen, zu erfahren und dementsprechend eben auch sein Denken davon ausgehen zu lassen. Mit diesem Ansatzpunkt wird das Konzept der traditionellen westlichen Zweierbeziehung unstimmig. Der Versuch einen Moment über die Zeit zu retten ist vergebens und schadet einem eher noch im Bewusst-Sein seiner selbst und des Gegenübers. Genügt es denn nicht einfach zusammen mit einem anderen Menschen in einem konkreten Moment Glück zu erfahren, im Jetzt eine „gute Zeit“ zu genießen und das großartig zu finden?
Dazu kommt die Frage, wozu eine Beziehung durch eine Institutionalisierung wie z.B. die Ehe noch weiter definiert werden soll? Handelt es sich eh schon um „die große Liebe“, was zumindest in jungen Jahren oft als hinreichender Grund zu heiraten angegeben wird, warum genügt dies dann nicht schon? Schöner sagt dies Søren Kierkegaard:

[…] da greift man ja die Ehe indirekt an. Entweder hat sie ihren Wert in sich, so ist der ja genugsam gestraft, der sie wegwirft oder sie hat keinen Wert, so ist es ungereimt ihn zu tadeln weil er gescheiter ist als andere. Wenn einer seines Geldes überdrüssig würde, es zum Fenster hinauswürfe, da würde niemand sagen, er sei ein gemeiner Mensch. Denn entweder hat das Geld seinen Wert, und dann straft er sich ja selbst oder es hat keinen Wert und dann hat er als ein kluger Mann gehandelt.

Warum folgert man bei diesen Überlegungen nicht einfach, dass jede nicht blos oberflächliche Beziehung ganz selbstverständlich als exklusiv angesehen werden sollte, ja sogar muss? Denn Exklusivität besteht schon von selbst, sofern angenommen wird, dass jeder Mensch einzigartig in seinen Eigenschaften ist. Wie rechtfertigt sich dieser besondere Status, der nur einem einzigen Menschen zukommen soll?

Es geht mir bei diesen Überlegungen nicht um eine generelle oder gar dogmatische Absage an die Möglichkeit einer erfüllenden und sehr lange andauernden Beziehung zu nur einem besonderen Menschen. Dies mag sogar entsprechend den persönlichen Eigenschaften und Absichten möglich sein. Unsere gesellschaftliche Realität scheint aber mehrheitlich anders auszusehen, wie z.B. die seit langem stark steigende Zahl der Scheidungen und auch viele Gespräche über (oft aus sehr ähnlichen Gründen) zu Ende gegangene Beziehungen zeigen. Vielleicht liegt die Ursache darin, dass es einen stärker werdender Hang oder Drang zum Individualismus gibt. Vielleicht ist die Idee der Liebesheirat aber auch immer schon eine aus der Romantik stammende historische Fehlentwicklung; mindestens bis zur Zeit der Aufklärung wurden üblicherweise „Vernunftehen“ geschlossen.
Auf diese möglichen Ursachen möchte ich hier nicht weiter eingehen, aber zumindest fehlt es mir für die Festlegung auf genau und gerade einen ganz bestimmten Partner an objektiven Gründen. Nur im Fall einer körperlichen Beziehung, kommt für mich heutzutage noch der bessere Schutz vor Geschlechtskrankheiten als wirklich starkes Argument in Frage. Ein weiteres in meinen Augen gültiges Argument entsteht sobald man sich für Nachwuchs entscheidet: geht man davon aus, dass ein Kind für die Entwicklung einer starken, selbstständigen Persönlichkeit einen über viele Jahre festen Rahmen von Bezugspersonen benötigt, muss man sich dieser Verantwortung stellen. Aber dieser feste Rahmen lässt sich sicherlich auch ohne Nachteile für die Kinder anders als nur in der institutionalisierten heterosexuellen Ehe organisieren.

Was bleibt also unter obigen Überlegungen vom traditionellen Beziehungskonzept bestehen? Problematisch scheint mir vor allem die übermäßge Ausrichtung auf Zukünftiges und dem damit verbundenen Vertrösten auf den nächsten Tag, was dazu führt im Heute zu stagnieren. Und auf jeden Fall bleibt natürlich die immerwährende Forderung sich auf seine eigenen Überlegungen zu verlassen: Was sind die Gründe aus denen Beziehungen geführt werden wollen? Warum soll ich es wollen? Warum scheint es viele zu geben, die es wollen? Warum funktioinert es so oft nicht? Der scheinbar einfachere Weg ist sicher, sich in einem erpobten und (durch die aktuell in der westlichen Welt große Verbreitung) auch gesellschaftlich akzeptierten Modell einzurichten, aber gerade das birgt neben der Gefahr der Stagnation auch noch ein hohes Potential zur schleichenden Verschlechterung.
Sich aber immer wieder von neuem vor allem auf die jeweilige Situation und sein Gegenüber einzulassen, kann gerade im Versuch von Beziehungen ein Ideal darstellen, das viel weiter gefasst ist, als die klassische auf Sicherheit bezogenen Definition. Nicht zuletzt gilt die alte Formel „Jeder nach seiner Fasson“ — welche sowohl als Freibrief für Individualisten, aber auch genau so gut als standiger Anspruch an einen selbst verstanden werden kann.

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